Das langsame Sterben der Lloyd Sydney
 
Am Montag, 7. Januar 1983, bekam ich am späten Nachmittag einen Anruf, daß die Lloyd Sydney, jetzt wieder Weserland, in Hamburg sei.
Sofort fuhr ich mit dem Auto von Hannover aus in Richtung Norden. Es war, wie f
ast immer zu dieser Jahreszeit, schon früh dunkel und es herrschte ein leichtes Schneetreiben.
In Hamburg angekommen, lief ich die letzten Meter zu Fuß, passierte den Zoll und als ich dann endlich um eine Lagerhalle bog, sah ich sie.

In ihrer ganzen Schönheit lag die alte Lady dort an der Pier, angestrahlt von den Scheinwerfern, damit die Arbeiter das Löschen
der Ladung ungehindert durchführen können, stand ich wie angewurzelt und hörte mein eigenes Herz schlagen.

Das leichte Schlagen des Wassers an die Hafenmole, der allgegenwärtige Geruch von Diesel sowie der Klang eines Nebelhornes aus weiter Ferne, alles übliche Geräusche in einem Hafen, mir kam es vor, als wenn alles um mich herum gerührt ist und sich über dieses Wiedersehen freut. Ich ließ diesen Augenblick unvergeßlich in meine Seele einbrennen.
Schön war es nach 3 Jahren wieder mal ein Schiff zu betreten. Ein Rundgang an Bord, das Begegnen alter Kollegen und Freunde, ein netter Plausch über Vergangenes und inzwischen Erlebtes, ließ die Stunden wie im Flug vergehen. Meine Kammer, die Pantry, die Brücke, Orte die mich gedanklich in eine schöne Zeit zurück versetzten. Aber der Abschied kam und war traurig. Ich dachte nicht daran, daß ich meine Weggefährten fast alle nie wiedersehen würde als ich das Schiff verließ.

Ein zartes Streicheln über die von Rost und Salz beschichtete Reling und ich schlich schweren Herzens die Gangway hinab. Der Schnee ging in leichten Regen über, es hätten auch Tränen sein können, als ich noch einen kurzen Blick auf das Schiff in seiner vollen Länge warf. Nie hätte ich daran gedacht, daß die alte Lady und ich uns in diesem Moment das letzte mal sahen.................

15 Jahre später, es ist Samstag der 21.November 1998, Alang, Indien.
Brütende Hitze liegt über der Bucht. An diesem Tag ging die MS Golden Splendour, ex Weserland, Lloyd Sydney und Kota Timor, auf Reede vor der Küste des Indischen Ozeans.

Alang, 150 Kilometer nördlich von Bombay, ist der größte Schiffsfriedhof der Welt. An der dortigen Küste liegen auf über zehn Kilometer Länge dicht nebeneinander bis zu 180 Ozeanriesen am Strand. Im Jahr werden hier über 400 stählerne Riesen vernichtet, 60% aller Abbrüche weltweit. Volle Kraft voraus werden Schiffe bei Flut auf den Strand gefahren, der hier flach ist und voller Schlick.

Bei Ebbe fallen die Schiffe trocken und dann kommen die "Eisenfresser", bis zu 40.000 Arbeiter, die die Schiffe von Hand zerlegen, mit Schweißgeräten, Sägen und Hämmern. Von Hand tragen die Arbeiter die Wrackteile aus dem Watt. Bagger und Lkws würden hier im Schlamm versinken.

Die Lloyd Sydney, vor langer Zeit für ein Jahr mein Zuhause, hatte ihre letzte Reise angetreten.
Der Reeder hat sie für $ 127 pro Tonne Leergewicht (zu dieser Zeit über 2,8 Millionen DM) an das indische Unternehmen Shirdi Steel Traders verschachert, nachdem ein Makler sie begutachtet hatte. Mit minimaler Besatzung hatte sie ihre letzte Fahrt angetreten. Nach 28 Jahren auf den Weltmeeren, Millionen von Seemeilen, wobei sie Tausenden von Seeleuten nicht nur Arbeit gab, sondern auch ein Stück Heimat. Nachdem das Schiff diese Menschen sicher durch fürchterliche Stürme führte, ist sie ihrem Ende nah.

Es wurde auf den richtigen Moment gewartet. An jeweils drei bis vier Tagen mit sehr hohen Tiden bzw. um die Springflut, steckte der neue Eigentümer, der Ship Breaker, eine Fahne in den morastigen Strand, die dann von einem Steuermann von Bord angepeilt wird. Per Funk geht die Anweisung an den Kapitän zu starten.

Ein allerletztes Mal springen die schweren Maschinen an, dreht sich die Schraube auf Hochtouren. Der Klang der Nebelhörner gilt als Warnung für alles was im Wege steht, es ist aber auch ein letztes, vergebliches Hilfesignal, ein Schrei der Kilometer weit zu vernehmen ist, aber keine Rettung mehr für das Schiff herbeirufen kann.

Photo by Claudio Cambon Einige Hundert Meter vom Strand entfernt bohrt sich das Schiff in den Schlick bis es sich nicht mehr bewegen kann. Der Plot 08/101 ist der letzte Ort, wo der Meeresriese zum Stillstand kommt.

Die, sich noch immer drehenden, Schrauben schleudern das ekelige Gemisch von Matsch und Brackwasser durch die schwüle Luft.

Als das letzte Geräusch verklungen ist, welches aus den Maschinenräumen kam, vergehen endlose Minuten. Es ist endgültig vorbei, die alte Lady hat kein Wasser mehr unter dem Kiel...........

Der Maschinentelegraf wird nie mehr klingeln, es sei denn die "Elektrohöker" finden noch Käufer für das Modell, welches jahrelang seinen Dienst auf der Brücke des Ozeanriesen tat. Die schönen Messingteile auf dem Schiff, wovon jedes eine lange Geschichte erzählen kann, werden bei den kleinen Schrotthändlern zum Verkauf angeboten. Tausende Läden säumen die Straße von Alang City bis zur Schiffsabwrackstelle. Überall sind auf dem Weg zum Schiffsfriedhof die sterblichen Überreste der zerteilten Meeresgiganten zu sehen. Haushohe Generatoren, in langen Reihen aufgestellte Toiletten, Rohre in jeder Größe und Form, Möbel, Navigationsgeräte, Ketten und gestapelte Eisenplatten, so weit das Auge reicht.

Photo by ENS Der martialische Arbeitsplatz von rund 40.000 Menschen erstreckt sich über viele Kilometer entlang der Küste. Tanker, Frachtschiffe, Passagierdampfer und Kühlschiffe sind hier dicht nebeneinander auf den modrigen Grund gefahren worden und liegen bei Niedrigwasser trocken.
Manche sind noch komplett, andere sind bereits zweigeteilt, geviertelt, geachtelt. Es dröhnt und hämmert sieben Tage die Woche.
Immer rund um die Uhr, nachts bei gespenstischem Flutlicht. Rasselnde Ketten, aufheulende Motoren und angsteinflößendes Quietschen der Stahlwanten sind hier allgegenwärtig und so laut, das es in den Ohren schmerzt.

Für Schiffe, die nicht das Glück haben zum Museumsschiff umfunktioniert zu werden, gibt es eben keinen Gnadenhof. In dieser erniedrigenden Gegend und Atmosphäre wird die alte Lady in kurzer Zeit ihr Ende finden. In den nächsten Tagen wird die Lloyd Sydney "gestrippt", das heißt, alles was lose ist, soll heraus geholt werden. Armaturen, Holzwände, Betten, Toiletten, Lampen, Treppen, alles was zu lösen ist, wird fortgeschafft.

Ein Beauftragter des neuen Eigentümers wandert auf meinem alten Schiff umher und entwirft den "scrapping" plan. Er entscheidet nach statischen Gesichtspunkten, in welcher Folge die Einzelteile des Schiffes angegangen werden. Sie darf nicht auseinanderbrechen und sie darf sich auch nicht neigen oder gar umkippen. Die Golden Splendour, ex Lloyd Sydney, soll systematisch demontiert werden da sie noch zu weit im Watt liegt und die Flutphase oder ein Sturm das Schiff bewegen kann. Deshalb werden tragende Teile zuletzt berührt.

Zwei Tage vor Weihnachten, am 22. Dezember 1998, begann das eigentliche Sterben der Lloyd Sydney. Zu Hunderten fallen die Arbeiter, Männer, Jugendliche und auch Kinder über sie her. Bei sengender Hitze schuften die Abwracker, ungelernte Kräfte aus ganz Indien, für nur 3000 Rupien (150 DM) im Monat.

Fast alle Arbeiter sind Barfuß. Sie stehen knöcheltief in dem von Eisenspänen, Öl und Rost geschwängerten Matsch. Ihre Arbeitsmontur beschränkt sich auf kurzärmelige T-Shirts und Lunghis, landesübliche, um die Hüften gebundene Hosentücher. Solange das Schiff im Watt, also relativ weit entfernt vom Strand liegt, sollen einige große transportable Teile mit Schweißbrennern vom Rumpf getrennt und mit Winden an Land gezogen werden.


D
er erste Schritt vor Beginn der Arbeiten im Schiff, ist das Herstellen von etwa zwei mal drei Meter hohen Luken und Fenstern in die Schiffshaut. Das Schiff ist nämlich nach dem "strippen" innen stockdunkel. Bei plötzlich auftretenden Bränden sollen die Öffnungen als Rauchabzug und Fluchtweg dienen. Auch bei plötzlich auftretenden hohen Wasserständen kann der Frachter nicht mehr aufschwimmen und Schaden anrichten. Das langsame, qualvolle Sterben beginnt.

Kein stolzer Kapitän steht mehr auf der Brücke oder in der Nock. Das Schiff durchschneidet nie mehr bei voller Fahrt das smaragdfarbene Meer und läst in ihrem Kielwasser spielfreudige Delphine springen. Kein Albatros umkreist mehr ihre Masten und kein Schiffsjunge steht an der Reling mit vorausschauendem, freudigem Blick auf den nächsten Hafen. Niemals mehr wird sie einen Seemann, der des Nachts in seiner Koje schlief, zuverlässig und sicher von ihr durch die Ozeane geführt. Nichts auf der Welt kann ihr Sterben noch aufhalten.

Photo by Claudio Cambon Auf dem Schiff herrscht infernalischer Lärm. Mit Schneidbrennern wird der Schiffsstahl in Stücke geschnitten. Schwere Eisenteile werden von Deck des Wracks aus mehr als 10 Meter Höhe auf den Strand geworfen. Flammen züngeln überall und schwarze Rußwolken verdunkeln den Himmel. Die Arbeiter legen Ketten um gelöste Teile und ziehen sie mit Winden in Richtung Land.

Am schlimmsten ist der beißende Qualm, der beim Trennschweißen der Stahlwände entsteht. Auch die eingeschweißten Luken werden mit Ketten von unzähligen Menschen nach Außen gebogen. Der Stahl macht dabei schrille Geräusche, die an das schmerzhafte Schreien eines kleinen Kindes erinnert. Wie dickflüssige Tränen rinnt das letzte Dieselöl aus dem Schiffsrumpf, dem damit jegliches Leben entzogen wird.

Die Lloyd Sydney verliert in den ersten vier Wochen ein Drittel ihres Volumens. Leichter geworden, wird sie jetzt bei jeder Flut mit Winden von Land aus, weiter auf den öligen Strand gezogen. So schwer sie auch ist und sich dagegen wehrt, sie ist chancenlos. Ohne Pause schweißen und hämmern die Arbeiter bis in die Nacht hinein. Sprühende Metallfunken erglimmen in der Abenddämmerung und rieseln funkelnd von dem schon teilweise skelettierten Schiff herunter.

Photo by Claudio Cambon Die Inder tragen schwere Platten, Eisen- und Stahlteile zum Ausgang des eingezäunten Plots Richtung Straße, von wo aus die Lastwagen in die nächstgelegene "Rerolling Mill", ein Walzwerk, und an alle möglichen anderen Orte im Land zur Weiterverarbeitung fahren. Schweißer tragen ihre Gasflaschen in den Schiffsbauch wo es immer noch teilweise stockfinster ist. Taschenlampen besitzt niemand. Durch die dunklen Gänge tasten sich die Arbeiter in das Innere.

Von außen wird die Lloyd Sydney weiter gnadenlos filettiert, Stück für Stück wird aus ihr herausgerissen. Plastikteile, Dichtungsmassen und Kabelisolierungen werden sofort am Strand verbrannt.
Das Gelände gleicht einem Schlachtfeld. Meterhoch türmt sich der Schrott. Jede Schraube oder Mutter wird eingesammelt. Viele Dinge, die nicht benötigt werden, schmeißen die Arbeiter einfach ins Meer.

Rund um Alang gibt es ein gigantisches Slumgebiet. Hunderttausende von Menschen hausen hier in Wellblech und aus dem Wasser gefischten Schiffsschrott.

Alles von dem Schiff ist hinfort geschafft. Wie Kolonnen von Ameisen wurde alles entfernt. Werkzeuge, Hilfsaggregate, Lampen, Funkgeräte, Tische, Betten, Leuchtröhren, Kücheneinrichtungen, Sitzbänke, Tauwerk, Kabel, Safes, einfach alles wird jetzt von den Straßenhändlern zum Kauf angeboten. Küstenfischer sieht man in Rettungsbooten arbeiten, altes Schmieröl wird direkt weiterverkauft.

Nach über acht Wochen ist alles vorbei, der Todeskandidat, die Lloyd Sydney, ist verschwunden.
Für immer und ewig. Brennende Stellen mit Altöl, Kilometer weit sieht man die Rauchfahnen, am Strand im Dreck liegende Stahlträger, erinnern noch daran, daß hier vor kurzem ein stolzer Frachter lag. Im Schlamm liegen noch einige WC-Schüsseln von ihr, für die keiner Verwendung fand.
Der Rest ist verteilt.

Eines hat überlebt. Die Schiffsglocke aus Messing. Sie wird niemals eingeschmolzen, sie ist auch unverkäuflich. Der Shipbreaker behält sie und spendet sie zu bestimmten Anlässen an eine Kirche oder einen Hindutempel. Am Ortsausgang von Alang läutet eine Glocke von einem russischen Dampfer, wo die der Lloyd Sydney abgeblieben ist, konnte bis heute keiner beantworten . . . .

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André Krüger™